Interview mit Charles Faulkner

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Charles Faulkner (USA), NLPler der zweiten Generation, gilt als einer der führenden und innovativsten Köpfe innerhalb des englischsprachigen NLP.

Das Interview wurde im Jahr 2000 geführt.

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WOLFGANG WALKER: Charles, wann und wie bist du mit NLP in Kontakt gekommen?

CHARLES FAULKNER: Oh, ich dachte, dieser spezielle Teil meines Weges würde mittlerweile bereits zur „NLP-Folklore“ gehören. Nun ja, es ist eine lange Geschichte mit Berührungspunkten zu Thailand, zu meiner Arbeit als Englischlehrer, einem Lotteriegewinn, dem Restaurieren von Antiquitäten und einem Science-Fiction-Roman, den ich mit meiner Siamkatze geschrieben habe.

Die Kurzfassung lautet ungefähr wie folgt: Bereits als Student war ich Vorstandsmitglied in einem Krisenzentrum. In den späten siebziger Jahren waren das Einrichtungen, bei denen Leute anrufen konnten, wenn sie selbst oder ihre Freunde in einer Krise steckten: persönliche Krisen oder solche, die mit Beziehungen oder Drogen zu tun hatten. Weil wir mit der Art unserer telefonischen Beratung unzufrieden waren, beschlossen wir, ein paar Psychologen und Therapeuten anzuheuern, die uns zeigen sollten, wie sie es machten (darunter auch Rogerianer, Gestalttherapeuten und Transaktionsanalytiker).

Mit all diesen Erfahrungen und unseren unterschiedlichen Hintergründen – wir waren ein Ingenieur, ein politischer Aktivist, eine Feministin und ein Linguist (also ich) – dachten wir uns schließlich eine formale Struktur für Aufnahmegespräche aus, die mit reflektierendem Zuhören begann und dann eine Reihe bestimmter Fragen abarbeitete. Wir stellten fest, dass Anrufer, die dieses Format einigermaßen vollständig durchlaufen hatten – und die meisten haben das getan – unsere Dienste nicht weiter in Anspruch nehmen mussten.

Jahre später, als mir ein Freund den ersten Band von „The Structure of Magic“ in die Hand drückte, entdeckte ich, dass er einige derselben Fragen enthielt, die wir unseren Anrufern gestellt hatten. Später, als ich den “Zielrahmen” kennenlernte, konnte ich sogar noch mehr Überschneidungen feststellen. Ich musste also nicht erst auf wissenschaftliche Studien oder eine emotional überzeugende Veränderungserfahrung warten, um in das NLP einzusteigen. Ich hatte die fundamentale Beziehung zwischen Sprache und Überzeugungen bereits aufgrund meiner frühen Erfahrungen mit Linguistik und Veränderungsarbeit im Krisenzentrum verstanden.

Als ich Wochen später in einem Buchladen eine gebrauchte Ausgabe von „Frogs into Princes“ entdeckte – mit einem ebenso wunderlichen Cover und Titel wie „The Structure of Magic“ – wusste ich, dass dieses märchenhafte Äußere etwas vom weitreichendsten wissenschaftlichen Denken über die Natur von Sprache und Veränderung enthielt, das zu dieser Zeit verfügbar war. Ich fing bereits im Buchladen an zu lesen. Ich wette, ich habe ein ganzes Drittel im Stehen gelesen – und wieder und wieder murmelte ich vor mich hin: „Mein Gott, … sie haben es!“ Mir war total klar, dass NLP wichtig und populär werden würde. Bereits sechs Monate später nahm ich an einem Training teil. Das war 1980.

WOLFGANG WALKER: Wie hast du die damalige Szene erlebt?

CHARLES FAULKNER: In dieser Zeit war es im NLP noch möglich, jeden zu treffen und bei jedem zu trainieren. In den Achtzigern habe ich mit John (Grinder) und Richard (Bandler) gearbeitet, sowie mit David (Gordon), Robert (Dilts), Leslie (Cameron-Bandler), Michael (LeBeau), Steve und Connirae (Andreas), Stephen (Gilligan), Paul (Carter), Dave (Dobson) und vielen anderen. Und das war in der Regel nicht einfach mal nur ein Wochenende; oft waren es mehrere, und in vielen Fällen handelte es sich sogar um Wochen. Ich habe drei verschiedene Practitioner-Trainings und einige Master Practitioner-Programme absolviert. Überdies habe ich über Jahre hinweg jedes Level bei den Kursen der Andreas‘ assistiert. Ich machte Post-Master Modeling-Kurse bei Grinder und Dilts sowie bei Bandler, Gordon und Dawes sowie Trainer-Trainings bei Connirae und Steve und später auch bei Bandler – und all diese Kurse waren reichlich verschieden. Das wusste praktisch jeder von ihnen und sie erkannten es auch untereinander an – auch wenn sie ihre jeweiligen Stärken und ihre Bedeutung nicht mehr ganz so rückhaltlos wertschätzten, nachdem die Mitbegründer auseinandergegangen waren.

Eine Liste der anderen Entwickler und Entwicklungen, die gleichzeitig stattfanden, wäre unendlich lang – Bill O‘Hanlon und Steve Lankton hatten sich gerade vom NLP abgewendet, um die Arbeit von Dr. Erickson in ein System zu bringen. Paul Watzlawick und seine Kollegen vom Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto arbeiteten an einer Art Kurzzeittherapie, die sich zur „Symptomverschreibung“ entwickeln sollte. Steve de Shazer und seine Kollegen in Milwaukee  studierten Ericksons Sprachmuster und Bob Shaw hatte soeben die „Kontextuale Therapie“ begründet. Man hatte auch gerade damit begonnen, konstruktivistische und konstruktionale Paradigmata auszuarbeiten. Es war eine total aufregende Zeit. Alles schien möglich!

Was mich damals am meisten am NLP begeisterte war die Möglichkeit, den Schlüssel zu finden – den Rosetta-Stein für menschliches Verstehen –, eine linguistische Basis für all das Zeug, an dem gearbeitet wurde. Ich weiß, dass mich etwas von anderen unterscheidet, weil ich in diese verrückten und kreativen Zeiten des NLP und verwandter Disziplinen der Veränderungsarbeit involviert war. Da lag eine Aufregung in der Luft – emotional wie intellektuell – wenn einer der Entwickler oder sonst jemand, der etwas zu einem der zahlreichen neuen Ansätze beitrug, in die Stadt kam, um ein brandneues Modell vorzustellen.

In jener Zeit wurden NLP-Modelle wie die Submodalitäten, die Veränderung von Überzeugungen, die „Sleight-of-Mouth“-Muster und das „Imperative Selbst“ entwickelt und gelehrt. Auch die Erklärungen für die multiplen, eingebetteten Metaphern von Milton Erickson sowie seine Aufgabenstellungen für Klienten fielen in diese Zeit. Ich erinnere mich noch an eine Situation während meines ersten Master Practitioner-Trainings, als David Gordon seine Flipcharts herunterriss, weil er spontan entschieden hatte, dass es einen besseren Weg gab, den Inhalt rüberzubringen. So etwas findest du heute nicht mehr oft – die Bereitschaft zu experimentieren, etwas zu revidieren und letztlich mit der besseren Idee weiterzumachen, egal, was das Programm vorgibt.

WOLFGANG WALKER: Kannst du uns etwas über die Meilensteine auf Deinem eigenen Weg durch die letzten 20 Jahre NLP berichten? Was waren die wichtigsten Dinge, an denen du gearbeitet hast?

CHARLES FAULKNER: Ist das wirklich schon so lange? Naja, obwohl meine verschiedenen Broterwerbsjobs sich änderten, habe ich mich immer auf Modeling konzentriert. Modeling war schließlich der Grund dafür, daß ich ins NLP eingestiegen bin.

Wie allerdings Bandler schon vor ein paar Jahren feststellte, besteht heutzutage das meiste sog. „Modeling“ aus einer Wiederanwendung bereits existierender (NLP-)Modelle auf längst modellierte Bereiche des Verhaltens – wenn auch nicht unter dem exakt gleichen Arbeitstitel. (Zum Beispiel: Spitzenverkauf im Vergleich mit therapeutischer Überredungskunst.) Er wies darauf hin – und ich stimme dem zu – dass es tatsächlich „Modeling“ als Anwendung bereits im Rahmen des NLP untersuchter Modelle auf einen Bereich des Verhaltens gibt.

Doch dann gibt es auch noch das „Modeling“ im Sinne des Entwurf eines neuen Modells, das mit einem neuen Satz Unterscheidungen ausgestattet ist, um auf diese Weise bislang noch nicht beschriebene Verhaltensformen zu untersuchen.

Vor ungefähr 20 Jahren begann ich – was nicht weiter überraschend ist – mit der ersten Kategorie. Ich wendete meine Kenntnisse über „Strategien“ und „Zustände“ aus meinem ersten Practitioner-Training an, um die Fähigkeiten von Schnellernern im Bereich von Sprache/Kultur zu modellieren. Während meines ersten Master Practitioner-Trainings nutzte ich das Modell der „Meta-Programme“ und meine Kenntnisse in fortgeschrittener Strategiearbeit, um für ein Marketing-Unternehmen im Medizinbereich die Entscheidungsstrategien dreier unterschiedlicher Typen von Ärzten zu modellieren. Darauf folgte die Anwendung all der im NLP bekannten Modelle auf Entscheidungsfindungprozesse im Finanzbereich – anhand von Leuten, die Termingeschäfte machten.

Nebenher brachte mich mein lebenslanges Interesse an Metaphern und Geschichten dazu, die neuesten Einsichten der „Kognitiven Linguistik“ in ein neues Modell metaphorischer Elizitation und Veränderung zu ‚übersetzen‘ – analog zu Grinders und Bandlers Anwendung der „Generativen Transformationsgrammatik“ auf die Therapie. Zu dieser Arbeit wurden einige Audio-Mitschnitte veröffentlicht: „Metaphern der Identität“, „Das mythische Rad des Lebens“ (beide ausgehend von der Idee, daß Metaphern ein kohärentes System bilden, das die eigene Lebensgeschichte beeinflusst), sowie “Worlds Within a Word” (etwas darüber, auf welche Weise die Metaphern der Alltagssprache enthüllen, wie wir durchs Leben gehen).

Etwa um 1990 herum begann ich mich darum zu bemühen, herauszufinden, wie die unterschiedlichen Modelle und Techniken des NLP zusammenpassten. Zum Teil war das durch meinen Hintergrund in Wissenschaftsphilosophie motiviert, die Kohärenz für jedes deskriptive Modell fordert. Mit anderen Worten: Während die Natur selbst rätselhaft sein darf, muß die wissenschaftliche Beschreibung dieser Natur in sich zusammenhängend und vollständig (bzw. vervollständigbar) sein.

Wenn man diesen Blickwinkel einnimmt, dann müssen die NLP-Techniken – die ja augenscheinlich funktionieren – Beispiele für vollständige und kohärente Modelle der Welt sein. Jedes dieser kohärenten und vollständigen Modelle besteht wiederum aus Unterscheidungen, Elementen, Beziehungen, Operatoren und Regeln. Dabei wird jedes einzelne Modell – wie die anderen Erfahrungsmodelle auch – eine Beschreibung desselben Gebiets darstellen … und dabei so verschieden von den andern sein, wie sich eine Wetterkarte und eine Straßenkarte und eine topographische Karte des gleichen Gebiets unterscheiden.

Tatsächlich weisen sie in vielem die gleichen Beziehungen auf. Dabei werden verschiedene Karten in unterschiedlichen Zusammenhängen mal mehr und mal weniger nützlich sein. Jede Karte, jedes Modell erlaubt eine mehr oder weniger deutliche Wahrnehmung bestimmter Elemente und ihrer Beziehungen.

Im Gegensatz zu dieser Sichtweise kann es – insbesondere wenn man über die NLP-„Werkzeuge“ und –„Techniken“ spricht – leicht passieren, dass man die ganze Sache nur aus Bodenhöhe betrachtet und dadurch die Verbindungen untereinander übersieht. Ohne eine Wahrnehmung dieser „Werkzeuge“ als Elemente, die Teile eines Ganzen sind, gibt es keine integrative Sichtweise. Ich nannte diese integrierende Entwicklung „Kybernetik der Wahrnehmung (Perceptual Cybernetics)“ – was man ungefähr als das Kartographieren des Prozesses des Kartographierens umschreiben könnte.

Dieser Zugang, vervollständigt durch die Metaphern-Arbeit, führte mich zur Modellierung der elementaren Strukturen und Prozesse eines jeden Modells, auf das sich NLP bezieht. Im Verlauf dieser Neukodierung offenbarte sich mir die fundamentale Bedeutung von „Meta-Programmen“. Im Klartext: jeder einzelne NLP-Veränderungsprozess kann entweder als Verlagerung in der Vorherrschaft bestimmter Meta-Programm-Unterscheidungen beschrieben werden oder aber als das „Neuziehen“ von „Grenzen“ zu ihrer Realisierung (wobei „Grenzen“ ein weitgehend unerkanntes Meta-Programm sind).

Zum Beispiel entspricht der Prozess zur Linderung von Traumata und Phobien auch einer Kombination zweier Meta-Programme innerhalb der problematischen Erfahrung. Das heißt, man versucht einen Shift von einer „In-Time“- und „Selbst“-Orientierung zu einer „Through-Time“- und „Beobachter“-Orientierung zu vollziehen.

Ähnlich ist es bei der Definition eines wohlgeformten Zieles: Dies ist eine Intervention für jemanden, der sich mit einem „weg-von“-Muster und „Modaloperatoren der Unmöglichkeit“ an der Vergangenheit statt mit einem „Hin-zu“-Muster und „Modaloperatoren der Möglichkeit“ an der Zukunft orientiert.

Dieser Blickwinkel aus der Perspektive der „Meta-Programme“ erlaubt es mir, eine Person, eine Gruppe oder eine Organisation als ein dynamisches System aus Orientierungen und Beziehungen zu modellieren und zu bemerken, ob es fehlende oder unterrepräsentierte Bereiche  und/oder Verbindungen zwischen ihnen gibt. Interventionen erweisen sich dann eher als systematische Neuorientierungen der Aufmerksamkeit denn als bloße Anwendung einer Technik. Und diese Neuausrichtung wird im Verborgenen oft von einer Neuorientierung der eigenen Aufmerksamkeit begleitet, während man „in Beziehung“ – also im Rapport in all seinen vielfältigen Aspekten – mit dem anderen ist.

WOLFGANG WALKER: Gibt es ein paar zentrale Einsichten, die Du in diesen Jahren gewonnen hast?

CHARLES FAULKNER: Ja! Zum einen, dass menschliches Denken und Erfahrung sich keineswegs formal und in Kategorien vollzieht – auch wenn NLP auf diese Weise kodiert wurde und unter dieser Annahme außerordentlich gut funktioniert. Oder in den Worten der Begründer und ihrer frühen Mitstreiter ausgedrückt: „Wir haben das ganze Zeug nur erfunden.“

Das stimmt so natürlich nicht. Eine Menge davon ist aus anderen Quellen geliehen. Aber sie haben einen ungewöhnlichen Gebrauch von dem gemacht, was sie „geborgt“ haben und es auf einzigartige Weise kombiniert. Und dabei waren sie sich dessen bewusst – und sie erinnerten uns auch ständig daran –, dass das alles lediglich nützliche Fiktionen waren. Und daß es dann, wenn die Fiktion ihre Nützlichkeit überlebt hat (wenn sie z. B. nicht mehr zur Erfahrung passt), an der Zeit ist, eine neue zu erfinden.

Genau diese Grundhaltung hat mich dazu gebracht, das NLP-Metaphern-Modell noch einmal neu zu überprüfen, dazu ausgiebig Literatur zur „Kognitiven Linguistik“ zu lesen und schließlich die grundlegend metaphorische (analoge) Natur des Geist/Gehirns (mind/brain) anzuerkennen.

Zunächst begann ich die metaphorische Basis der meisten Bedeutungszuschreibungen zu hören – und dann sah ich sie. Um ein Beispiel zu nennen:  zu hören, daß jemand Probleme hatte, bedeutete mehr, als dass da eben jemand mit einer Problemorientierung war. Vielmehr waren die Probleme in gewisser Weise Manifestationen einer Problem/Lösungsmetapher für die Erfahrung.

Leuten lediglich dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen, konnte im Einzelfall zwar erfolgreich sein … doch es hielt sie letztlich in ihrem problemerzeugenden Paradigma gefangen. Auf der anderen Seite, wenn jemand sich selbst als Heiler beschrieb, dann wurde dies zu einem mitschwingenden Teil seiner Identität. Also ging ich dazu über, die Folgeerscheinungen und Konsequenzen solcher Selbsteinschätzungen zu untersuchen. Und wenn mir jemand erzählte, daß er mit seiner Arbeit „im Rückstand“ sei, dann hatte er mir bereits mehr über seinen Lebensweg verraten, als ihm bewusst war – und auch darüber, wie ich ihn am besten darin unterstützen könnte, es anders „zu meinen“.

Für mich existiert eine Entsprechung zwischen der Form bzw. dem Prozess einer Erfahrung und dem Inhalt bzw. der Bedeutung derselben. In beiden dieser Bereiche zu arbeiten ist ebenso wichtig wie die Arbeit mit bewussten und unbewussten Prozessen.

Zweitens habe ich erkannt, dass es zwar eine Anzahl verschiedener Modelle gibt, aus denen NLP besteht (Sinnesmodalitäten, Ankern, Strategien, Kriterien usw.), dass aber nur ein einziges Modell dafür existiert, wie man es lehrt: das Training.

Nun, das Wort „train“ kommt vom lateinischen „trahere“ und das bedeutet etwa so viel wie „sich von einem Ort zum anderen schleppen“ – nicht unbedingt etwas, was ich tun möchte! Doch selbst wenn man von seinen Wurzeln absieht, so drückt das Wort eigentlich ein Konzept wie „das Antrainieren von Verhalten“ aus. Das bedeutet im Grunde „handeln, ohne zu denken“. Man kann zum Beispiel athletische Bewegungen, musikalische Fertigkeiten oder das Einmaleins trainieren – kurz: Gewohnheiten.

Obwohl so etwas mit NLP-Techniken sicherlich geht, habe ich mich schon oft gefragt, wieviele Teilnehmer dieser Ansatz schon davon abgehalten hat, in ihrem Umgang mit NLP schöpferisch und kreativ zu werden. Dabei ist schon die Situation der Teilnehmer absurd, da sie doch etwas gelehrt bekommen, was sie bereits längst tun. Letztlich müssen NLP-Studierende sich selbst ankern, um überhaupt jemanden anderen ankern zu können. Und um „Strategien“ begreifen zu können, müssen sie doch ihre eigenen Strategien benutzen.

Die unausgesprochene Behauptung hierin finde ich am problematischsten – nämlich dass NLP-Studenten lernen, etwas Neues zu tun. Und das kann ja nur heißen, dass sie in diesem Bereich irgendwie inkompetent waren, bevor sie NLP gelernt haben. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall, auch wenn diese Sichtweise manchmal nur allzusehr den Anschein erweckt, als sei dies so.

Also habe ich mir überlegt, wie es wäre, wenn wir unsere Studenten dabei unterstützen könnten, die Prozesse, die ja ohnehin bereits ablaufen, direkt wahrzunehmen, anstatt ihnen NLP-Techniken anzutrainieren. NLP ist ein Prozess des Anfertigens von Landkarten. Wie also wäre es, wenn wir – so wie wir es bei optischen Täuschungen tun – lernen würden, unsere Aufmerksamkeit absichtlich und kontrolliert so zu verschieben, daß wir all diese verschiedenen Landkarten zu unterschiedlichen Zeitpunkten sehen können? Tja, und das hat alles verändert, insbesondere mein Lehren von NLP.

Drittens bin ich immer wieder darauf gestoßen, wie leicht – und vielleicht muss das ja auch so sein – unser Verstand Erfahrungen “verdinglicht”, also Erfahrungen in gedankliche Objekte verwandelt. Das passiert heutzutage überall im Leben. Selbst wenn wir uns auf die Geschichte des NLP beschränken, gibt es hierfür genügend Beispiele.

Als Bandler und Grinder mit ihren ersten Gruppen anfingen, waren sie bestrebt, die Prozesse zu rekapitulieren. Sie rissen sogar laut Witze darüber, wie manche ihrer Studenten von “dem Prozess” sprachen und sie zeigten mit dem Finger auf diese Verdinglichung.

Ich schätze, dass die Prozesse selbst sich für die meisten Studenten als zu unstrukturiert erwiesen haben, denn sobald die NLP-Techniken auftauchten, wurden sie sofort darübergestülpt. Schon bald existierten Listen von Techniken, die man kennen musste, um ein zertifizierter NLP-Practitioner zu werden. Und diese Practitioner redeten dann darüber, dass ihre Klienten ‚eine neue Motivationsstrategie‘ brauchten oder ‚einen neuen Glaubenssatz‘ – ganz so, als könnte man sich diese Dinge wie in einem Autoersatzteile-Laden aus dem Regal nehmen.

Mit dem Auftauchen der „Meta-Programme“ wurden auf Wahrnehmung beruhende Unterscheidungen zu Persönlichkeitsbeschreibungen, so wie „Er ist ein Weg-von-Typ” oder “Sie ist ein Selbst-Sortierer”.

Auch wenn hier sicherlich keine böse Absicht vorliegt, so sind dies doch gute Beispiele dafür, wie man aus der Wahrnehmung eines Prozesses Objekte macht – in diesem Falle eben Eigenschaften einer Person, so wie etwa “Er ist ein Deutscher” oder “Sie ist eine Hindu”.

Nun gut, ich habe schon an anderer Stelle angemerkt, dass diese Tendenz zur Verdinglichung beinahe so etwas wie eine Voraussetzung für jede industrielle Revolution ist. Wedgewood, Ford, Daimler und andere nahmen sich Produktionsprozesse vor und verdinglichten sie zu den reproduzierbaren Abläufen, die wir heute als Fabriken kennen.

Die Frage lautet allerdings: Wann sollte man damit aufhören? Bateson schrieb schon vor einiger Zeit, dass die Erkenntnistheorie und die Methodologie der Naturwissenschaften für die Erforschung des Geistes unangemessen sind. Mit anderen Worten: Gedanken sind keine Dinge. Und dennoch … wir sind schon wieder dabei …

Denk‘ doch nur mal für einen Moment an die Idee der „Komplexen Äquivalenz“. Die „Komplexe Äquivalenz“ ist ein Begriff mit zwei Variablen, der vor 25 Jahren aus der Tranformationsgrammatik entliehen worden ist. Er spiegelte Chomskys Standpunkt wider, dass Bedeutung hauptsächlich aus der Syntax entsteht und nicht aus der Semantik. Im Hinblick auf Worte hat er einfach auf Nachschlagewerke verwiesen: dieses Wort bedeutet diese Erfahrung.

NLP hingegen basiert auf der Annahme, dass jede „Komplexe Äquivalenz“ für jedes Wort individuell ist. Der Hund in meinem Kopf ist nicht der Hund in Deinem Kopf. Also muss die „Komplexe Äquivalenz“ mindestens ein Begriff mit drei Variablen sein, einer, der den jeweiligen Wissenden mit einschließt. Aber warte … woher kommt dann die Kategorie der “Hunde”? Sicherlich nicht von einem platonischen Absolutheitsbegriff. Also existieren kulturelle Kategorien bereits vor dem jeweiligen Einzelnen, der sie kennt. Und sie müssen geteilt werden, um zum Kulturgut zu gehören.

Dies wiederum führt zu der Idee, dass „Bedeutung“ an sich sehr viel reichhaltiger verstanden werden kann, wenn man sie als ein Ganzes begreift, das aus vier Elementen besteht: dem Wissen (oder dem Namen), dem, was gewußt wird (dem Benannten), dem Wissenden (oder dem Benennenden) und der Gesamtheit allen Wissens (somatisch, semantisch, syntaktisch, pragmatisch). Oder wie schon Wittgenstein schrieb: “Einen Satz zu verstehen heißt, eine Sprache zu verstehen.”

Und erlaube mir hierzu noch eine zusätzliche Bemerkung: Welche dieser Variablen von einer Person betont wird, kann eine Menge über ihre Epistemologie, ihre „Meta-Programme“ und noch mehr verraten. In dieser Art des Denkens ist ein Gedanke eine Art dynamischer Zusammenhang von Beziehungen, die durch den nächsten ‚Gedanken‘ beeinflusst oder verändert werden – egal, ob dessen Ursprung internal oder external ist.

Und viertens gibt es da noch das systemische Denken (und mindestens ebenso wichtig: das systemische Handeln). Bateson nannte es den fettesten Bissen vom Apfel des Baums der Erkenntnis innerhalb der letzten zweitausend Jahre. Dennoch liegen die ersten Macy-Konferenzen und die Veröffentlichung von Norbert Wieners Buch über Kybernetik bereits mehr als 50 Jahre zurück. Und über 25 Jahre sind seit dem Erscheinen von Gregory Batesons “Steps to an Ecology of Mind” vergangen. Doch heutzutage gilt das Wort “Kybernetik” in Science-Fiction-Filmen offensichtlich weitaus mehr als in psychologischen Kreisen.

In den frühen Zeiten des NLP kamen ein Kollege und ich zu dem Schluß, dass, wenn wir eine generelle Verschiebung vom Ursache-Wirkungs-Denken hin zum systemischen Denken bewirken könnten, auch das meiste NLP-Denken und die dazugehörigen Verhaltensfertigkeiten ganz von selbst aus dem nicht-linearen Paradigma heraus erfolgen würden. Uns wurde darüber hinaus klar, dass ein solcher Shift nicht im Rahmen eines konventionellen Ausbildungsformats herbeigeführt werden kann, in dem es um das Entwickeln praktischer Fertigkeiten geht.

Dies geht nur durch unerwartete “Sprünge” in andere Prozesse und Wahrnehmungen. Während dies manchmal in einer direkten Lehrer-Schüler-Beziehung gelingt, klappt das beim Gruppenunterricht in der Regel nicht. In diesem Kontext scheint es besonders schwierig zu sein, einen systemischen (oder kybernetischen) Denkrahmen aufrechtzuerhalten. Manchmal denke ich aber auch, daß wir uns als Spezies in eine andere geistige Ebene hineinentwickeln – irgendwie so wie etwa bei Piagets kognitiven Entwicklungsstufen.

WOLFGANG WALKER: Wie erlebst du die heutige NLP-Szene? Nimmst Du irgendwelche auffälligen Veränderungen wahr, z.B. in der Einstellung, im Inhalt?

CHARLES FAULKNER: Laß mich hier vielleicht zunächst vorwegschicken, daß ich mich in den letzten Jahren ziemlich zurückgezogen habe. Von daher bin ich für diese Frage möglicherweise nicht die geeignetste Person.

Ich weiß, dass einige bekannte NLP-Trainer den Übergang zu Beratung und Coaching recht erfolgreich geschafft haben. Ich weiß aber auch, dass die Modelle, die das NLP ausmachen, so ziemlich dieselben sind wie vor zehn Jahren. Das soll nicht heißen, dass keine wichtige neue Arbeit gemacht würde (oder dass die frühere nicht großartig war). Es ist nur so, dass ich einige Beispiele von wirklich guten neuen Arbeiten kenne, die nicht so verbreitet werden, wie dies früher der Fall war. Es scheint ganz so, als seien die Inhalte des Practitioners und des Masters für Beratung und Coaching mehr als ausreichend. Das wiederum passt im Übrigen zu der noch offenen Frage, wie sich NLP als Wissensgebiet weiterentwickeln wird – im Gegensatz zu seiner Weiterentwicklung im Sinne einer Palette von Anwendungen.

Als angewandte Technik hat NLP zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen festen Platz in den meisten modernen Gesellschaften. Beinahe jeder kennt die Wichtigkeit von Zielen, Zuständen und Kriterien, dicht gefolgt von den sinnespezifischen Zugangshinweisen. Darüber wird sogar in Zeitschriften und in Hollywoodfilmen berichtet. Selbst meine Friseuse, die noch nicht einmal weiss, womit ich mein Geld verdiene, erzählt mir, sie sei „ein visueller Typ“. Und dabei wird NLP als der Ursprung all dessen fast immer weggelassen. Irgendetwas scheint es den Leuten unmöglich zu machen, dazuzusagen, dass es um Neurolinguistisches Programmieren geht.

Inzwischen ist NLP auch als spezielle Form der Psychotherapie gut eingeführt, besonders bei Euch in Europa. Und das habt Ihr zum großen Teil den außerordentlichen Bemühungen zahlreicher Professioneller zu verdanken. Ich hoffe, Ihr seid Euch darüber im Klaren, daß dies eine eindrucksvolle Leistung für das NLP darstellt.

WOLFGANG WALKER: Wie siehst du die Zukunft für dieses Gebiet? Was sind die Risiken und Fallen auf dem Weg? Und was sind die Chancen und Möglichkeiten?

CHARLES FAULKNER: Ich mache mir wirklich Sorgen um das NLP – um die Zersplitterung, den Mangel an Kommunikation zwischen den verschiedenen Lagern, die dürftigen Verbindungen zu den Universitäten und um das Fehlen einer Weiterentwicklung des gesamten Feldes und das „Ergrauen“ der Beteiligten.

Doch es kann sein, dass das nur Amerika betrifft. Vor einigen Jahren habe ich argumentiert, dass NLP kein Forschungsfeld im allgemein akzeptierten Sinne des Begriffs sei, da es weder Fachkonferenzen noch einschlägige Zeitschriften gebe – mit anderen Worten: es gibt keine „Gemeinschaft von Gelehrten“. Damit meinte ich einen ‚Raum‘, in dem Entwickler, Forscher und Anwender (auf welchem Level auch immer) sich jenseits ihrer beruflichen Konkurrenz begegnen, sich einander mitteilen, miteinander diskutieren und sich entwickeln können – eben all das, was ein Forschungsfeld aufrechterhält.

Da ich selbst Akademiker bin mache ich mir hierüber aber kaum Illusionen. Auch auf anderen Feldern gibt es Lager, Machtkämpfe und ein Herumargumentieren um des Argumentierens willen. Aber es gibt auch Forschungen und die Weiterentwicklung alter Ideen – und auch die Entdeckung vollkommen neuer Paradigmata.

Tatsache ist, dass einige der bedeutendsten neuen Gebiete sogar später als NLP begründet worden sind – und sie gedeihen. Dazu gehören die „Lösungsorientierte Therapie“, die „Narrative Therapie“, die „Kognitive Linguistik“, das „Wissensmanagement“, die Neurowissenschaften, die Gentechnologie und einige vollkommen neue Bereiche in der Computerwissenschaft.

Leute, die auf diesen Forschungsfeldern mitwirken, bringen Universitätsabsolventen hervor. Sie halten internationale Kongresse ab und treffen sich mit Vertretern anderer Gebiete. Dabei erhalten sie sowohl private Unterstützung aus der Industrie als auch stattliche Zuschüsse. Sie schließen lukrative Beratungs- oder Arbeitsverträge ab und sie publizieren sowohl Fachartikel und Bücher als auch leichter zugängliche Populärwerke (auf welche sich im übrigen der Großteil der NLP-Autoren, einschließlich mir selbst, spezialisiert haben).

Aber um den NLP-Begründern gegenüber fair zu bleiben: Es gibt genügend Beweise dafür, dass sie NLP zu einem Forschungsfeld machen wollten. Da gibt es z.B. ihre Stellungnahme in „NLP, Vol. 1“. Oder die Veröffentlichung ihrer repräsentationalen linguistischen Theorie in den „The Structure of Magic“-Büchern. Und es gibt die kommentierten Erickson-Transkripte mit ihren Aussagekalkülen.

Ich weiß, dass sie am Anfang auf ziemlichen Widerstand seitens bereits anerkannter Methoden wie der Humanistischen Psychologie und der Psychoanalytischen Psychiatrie stießen. Und ich weiß auch, dass sie später die Unterstützung von Erickson, Bateson und Satir verloren haben. An irgendeinem Punkt haben sie wohl einfach ihre Bemühungen in diese Richtung beendet.

Und das ist ein Jammer – schon allein wegen dem, was NLP bereits jetzt zu bieten hat (was in unserer eher pharmazeutisch orientierten Gesellschaft (USA) allerdings weitgehend unerkannt blieb). Und auch wegen dem, was NLP für das Denken, die Erziehung, für Kreativität, Planen, Regieren oder einfach für ein gutes Leben zu bieten hat. Und nicht zuletzt auch wegen dem, was NLP eines Tages werden könnte – eine fortgeschrittene Untersuchungsmethode, vollkommen andersartig und  unübertroffen von allem, was ich bislang gefunden habe. Wir haben gerade erst den Anfang dessen erlebt, was potentiell möglich ist!

WOLFGANG WALKER: Welche Projekte planst du selbst für die Zukunft?

CHARLES FAULKNER: Mein gegenwärtiges Modeling-Projekt beschäftigt sich mit den Strukturen und Prozessen, die unser „Selbst“ ausmachen. Dieses Projekt entstand aus einigen meiner langanhaltenden Interessen – der gesellschaftlichen Hervorbringung von Bedeutung, den Auswirkungen des Modernismus und auch der Medien als Erfahrungswelt. Dazu kam die Beobachtung, dass viele der vorherrschenden psychologischen „Störungen“ unserer Zeit vor einem Jahrhundert schlicht noch nicht existierten (und wenn, dann nur vereinzelt).

Meine Überlegung ist, dass Depressionen, Drogenabhängigkeit, Kulte, die Vergötterung von Stars sowie Erfolgsbesessenheit in Wirklichkeit Versuche sind, die Probleme mit dem eigenen Selbst zu lösen, indem man versucht, es einfach loszuwerden. Das bedeutet, daß diese Verhaltensweisen weniger Selbst-zerstörend sind als vielmehr das Selbst de-konstruieren. Die gängigsten Probleme mit der Struktur des Selbst beinhalten: rekursive Selbst-Referenzen; ein Wertesystem, das seine Bedeutsamkeit gleichsam aus sich selbst heraus ableitet; aus der Luft gegriffene externe „Referenz“-Erfahrungen, unzweckmäßige Vergleichsstrategien und die forcierte Aufspaltung in ein öffentliches und ein privates Selbst.

Die erste Überraschung bei dieser Arbeit war die Entdeckung, dass es nicht nur eine einzige Selbst-Struktur gibt. Vielmehr scheint es mindestens fünf unterscheidbare „archetypische Muster“ zu geben – und diese Varianten bringen ebenso unterschiedliche Wahlmöglichkeiten im Leben wie auch verschiedene Strukturen von Glaubenssystemen hervor.

Am ersten Juliwochenende werde ich diese Arbeit auf der ANLP-Konferenz in London erstmals öffentlich präsentieren. Dann werde ich auch ein paar Alternativen dafür vorstellen, wie man sein Selbst organisieren kann. Diese nehmen die Lösungen vorweg und bringen zugleich eine neue Sichtweise auf therapeutische Interventionen hervor. Es ist eine aufregende Arbeit, die da geschieht.

WOLFGANG WALKER: Herzlichen Dank für dieses Interview, Charles. Ich hoffe sehr, daß von Deiner Arbeit neue Impulse – insbesondere auf die deutsche NLP-Szene – ausgehen werden.

CHARLES FAULKNER: Danke, Wolfgang, vielen Dank für die Einladung nach Deutschland.

2 Kommentare

  1. Hi Wolfgang,
    Thank you for your years past vote of confidence. I’d forgotten about this interview. And it seems I said a number of things that are still salient today. As for laying the groundwork for new research, I am, finally, writing a book, though it is on the Cognitive Linguistic basis of Behavior Finance.
    All the best,
    Charles Faulkner

  2. Hi Charles, great to hear from you again! Yes, the interview is still pretty good and interesting. That’s why we decided to post it on our website both in english and in german. I’m happy, that you’re finally writing a book now and I look forward to read it. At the ILMSR we meanwhile got a pretty good sensory-based understanding of the mental space concept. It would be nice to discuss that with you one day 🙂 All the best, Wolfgang

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